Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) bei Englischlernenden

Autor: David Gerlach

Ungefähr 20% aller Schülerinnen und Schüler zeigen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben: Sie lesen sehr langsam, haben Probleme, das Gelesene zu verstehen. Oder sie haben große Mühe, einen Text zu produzieren, machen dabei auch gleichzeitig viele Rechtschreibfehler. Diesen Schwierigkeiten im Unterricht zu begegnen ist nicht leicht, aber trotzdem möglich. Einige Vorschläge, Methoden und Ansätze haben wir hier zusammengestellt. Außerdem gehen wir hier auf einige im Zusammenhang mit LRS verbreitete Mythen ein.

Mythos: LRS, Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Störung – das ist doch alles dasselbe!

Tatsächlich gibt es medizinische und pädagogisch-psychologische Definition für ähnliche Phänomene bzw. zu unterschiedlichen Graden. Begriffe wie „Lese-Rechtschreib-Störung“ oder „Schwäche“ werden in pädagogischen Kontexten und den Sprachdidaktiken aber abgelehnt, da sie pathologisierend sind und nicht selten eine pädagogische Intervention im schulischen Kontext von vornherein unmöglich machen. „Legasthenie“ wird weiterhin als Alltagsbegriff (vor allem im Internet) verwendet, ist allerdings kein wissenschaftlich akzeptiertes Konstrukt mehr.

Mythos: Englisch kann jeder lernen – mit oder ohne LRS

Tatsächlich ist der größte einzelne Faktor, der Fremdsprachenlernen begünstigt, die Motivation der Schülerin bzw. des Schülers. D.h. Lernende mit LRS können über Motivation viel kompensieren. Allerdings gehört zu diesen Faktoren auch eine Sprachlerneignung, also eine – über alle Sprachen hinweg – verfügbare kognitiv-sprachliche Disposition, die das Lernen begünstigt. Allerdings: Diese Sprachlerneignung kann auch positiv beeinflusst werden, z.B. durch frühe Lesesozialisation im Elternhaus, Sprachförderung, Lese- und Schreibförderung im Vorschul- und Primarschulbereich.

Mythos: LRS in der Muttersprache zeigen sich nicht unbedingt in der Fremdsprache

Wenn man von einer sprachenunabhängigen Sprachlerneignung ausgeht, ist das Gegenteil der Fall: Schwache schriftsprachliche Kompetenzen in der Muttersprache zeigen sich damit in der Regel in allen weiteren zu lernenden Sprachen. Ob Lesen und Schreiben dann in diesen Zweit- und Fremdsprachen funktioniert, ist zudem abhängig von der orthographischen Transparenz der Sprache, ob also Laut und Symbole (Phoneme und Grapheme) relativ eindeutig einander zugeordnet werden können oder nicht. Das Englische ist hier relativ komplex durch eine sogenannte tiefe (= intransparente) Orthographie.

Mythos: Lernende mit LRS sind faul und schlecht motivierbar

Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten führen dazu, dass Lernende in einen Teufelskreis der Misserfolgserfahrungen landen in einem Schulsystem, in dem sie ständig mit Gleichaltrigen verglichen werden, die besser sind als sie. Außerdem sehen Mitschüler*innen häufig nicht, dass Lernende mit LRS viel länger für das Vokabellernen brauchen, noch außerschulische Lerntherapie erhalten usw. Hierdurch sind Motivation und Selbstbild deutlich herabgesetzt – mit Faulheit hat das selten etwas zu tun. Auch Lernende mit LRS können (und sollen) gefordert werden, aber eben im Rahmen und über Ansätze, die ihnen z.B. im Mündlichen Teilhabe am Unterrichtsprozess ermöglichen.

Mythos: Lernende mit LRS haben immer auch ADHS

Ein stark begrenzender Faktor bei Lernenden mit LRS ist die eingeschränkte Arbeitsgedächtniskapazität. Das Arbeitsgedächtnis ist verantwortlich für alle Verarbeitungsprozesse von sprachlicher Information beim Lesen, Schreiben oder Sprechen. Es koordiniert die Inputverarbeitung und den Abgleich mit dem Langzeitgedächtnis und entnimmt dem Langzeitgedächtnis gleichzeitig aber auch wiederum sprachliche Informationen sowie Wissen. Durch dieses „Aufmerksamkeitsdefizit“ wirkt es häufig so, dass Lernende mit LRS ein Aufmerksamkeitsdefizit (ADS) haben, teilweise aus Frustration auch verhaltensauffällig und hyperaktiv werden (ADHS). Beide, also LRS und ADHS, treten tatsächlich unabhängig voneinander häufig gemeinsam in einem Individuum auf, allerdings bedingt sich dies nicht zwangsläufig gegenseitig. Es ist meist vielmehr die Wahrnehmung der Lehrkraft, die den Mythos befeuert, dass Lernende mit LRS auch immer Hyperaktivität zeigen.

Mythos: Kinder mit LRS „verdrehen“ Buchstaben

Dieser Mythos hält sich wacker: Lernende mit LRS würden Buchstaben „drehen“, also z.B. statt eines „m“ ein „w“ schreiben, statt „f“ ein „l“, statt eines „b“ ein „p“. Nur einer dieser Fälle kommt tatsächlich vor: Zwar denken wir beim Lesen und Schreiben immer an einen sehr visuellen Prozess, tatsächlich spielt er sich aber auf einer phonologischen, lautverarbeitenden Ebene ab. D.h. Buchstabendreher m/w kommen vielleicht vor, sind aber einfach falsche Automatisierungen der Symbole. Häufiger kommt eine Verwechselung von b/p vor oder auch d/t, aber nicht – und das macht das zweite Beispiel deutlich – aufgrund einer optischen Ähnlichkeit der Buchstabensymbole, sondern aufgrund einer lautlichen Ähnlichkeit der Phoneme, die sie repräsentieren.

Mythos: Arbeitsblätter für Lernende mit LRS sollten viel mit Bildern und Visualisierungen arbeiten

Bilder und Visualisierungen lenken Lernende mit LRS eher ab, wenn Sie Bestandteil eines Arbeitsblattes sind, das auch noch eine Aufgabenstellung und Inputtext enthält, mit dem gearbeitet werden soll. Vielmehr ist eine starke Strukturierung und viel Platz nötig, damit Lernende mit LRS sich zurechtfinden. Hierfür haben wir einen separaten Beitrag zusammengestellt zur Gestaltung von Arbeitsmaterialien für Lernende mit LRS.

Literaturempfehlungen

Gerlach, D. (2019): Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr.

Gerlach, D. (2022): Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten in der Fremdsprache. In K. Schick & A. Rohde (Hrsg.), Von integrativem zu inklusivem Englischunterricht. Weiterentwicklung sprachdidaktischer Prinzipien vor dem Hintergrund sonderpädagogischen Förderbedarfs (S. 67–84). Frankfurt am Main: Lang.

Gerlach, D. (2020): Umgang mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten. In W. Hallet, F. G. Königs & H. Martinez (Hrsg.), Handbuch Methoden im Fremdsprachenunterricht (S. 415–418). Hannover: Klett Kallmeyer.

Online-Fortbildung zu LRS: www.alphaPROF.de